Achtung:
Wir diskutieren die falschen Fragen
Die Debatte um die Elektromobilität wird mehrheitlich geführt von Menschen, die kein selbst kein Elektroauto fahren. Motorjournalisten schüren Reichweitenpanik, schreiben so Batteriepanzer herbei – und beschweren sich dann über deren Umweltrisiken. Die tatsächlichen Bedürfnisse der Elektro-Fahrer sind aber ganz andere – an ihnen führt auch die politische die Debatte in den Medien vorbei! So verschlafen wir die tatsächlichen Chancen der Elektromobilität.

Joachim Becker schildert in der SZ vom 9.2.2019 zum Beispiel wieder mal eine Lade-bedingte ungeplante Horrornacht in einer Pension statt über ein neues Elektroauto differenziert zu berichten. Frank Plasberg stellt in hart aber fair den Multimillionär Heinz-Harald Frentzen mit seinem Teslas-Fuhrpark und dessen Villa mit gigantischer Solar-Dachlandschaft vor. Unser mobiles Denken ist noch getrieben vom Benzin im Blut der letzten Jahrzehnte und Elektroautos und deren Fahrer werden betrachtet wie sonderbare Exoten. Vor allem die Medien machen da einen perspektivischen Denkfehler und stellen schlicht nicht die richtigen Fragen an die Politik!

Am eigenen Beispiel:

Wir fahren seit mehr als 2 Jahren ein Elektroauto. Einen Renault Zoe mit der kleinesten damals verfügbaren Batterie: 22 KWh. Die Batterie haben wir geleast – weil wir uns die Option für ein Batterie-Upgrade auf 40 KWh offenlassen wollten. Und wir haben zeitgleich eine Solaranlage auf unserem kleinen 5 x 8 qm großen Reihenhausdach gekauft – mit 10 KWh Batteriespeicher im Keller und Ladestation in unserem Carport. Im Durchschnitt produziert die

Anlage 13 kWh Strom am Tag – an sonnigen Tagen bis zu 35 kWh. Zusätzlich sind wir noch seit einem Jahr Mitglied einer Sharing-Community: die leiht sich 5% des Batteriespeichers von uns und lagert bei niedrigen Strompreisen bei uns ein und verkauft den Strom, wenn er teuer ist. Als Gegenleistung bekommen wir allen unseren Strom mit einer Schutzgebühr von 19,90 im Monat umsonst – Versorgungssicherheit falls die Batterie mal leer ist. Und wir haben dazu noch Einnahmen: wir bekommen die Überschüsse mit 12 ct pro Kilowattstunde vergütet.
Was wir produzieren reicht für den täglichen Hausverbrauch (ca. 4,5 kWh für 5 Personen) und weitere 5,5 kWh ‚verfahren‘ wir mit dem Auto – mit einer durchschnittlichen Fahrleistung von 35 km täglich. Wir haben es ausgerechnet: Wir produzieren inklusive des Elektroautos 84% unseres Stromes selbst und sind damit fast autark.

Was kostet der Spaß?

Die Solaranlage mit Batterie mit Ladestation etwa 25.000, – Euro – das Auto (Renault Zoe ohne Batterie) kostete 16.000, – Euro. Die Batteriemiete beträgt 59 Euro im Monat. Neben der Versicherung sind das die einzigen laufenden Kosten. So viel kostet ein neuer Mittelklassewagen – allerdings ohne lebenslange Stromversorgung inclusive!
Und die gesamte Akku-Kapazität im Haus und im Auto ist insgesamt nur ein Drittel der eines Tesla oder Jaguar E-Pace.

Fazit nach 2 Jahren?

Wir nutzen das E-Auto für fast 90% unserer Fahrten. Trotz der niedrigen Reichweite von im ca. 110 Kilometer im Winter und 160 Kilometern im Sommer. Unseren alten Benziner haben wir noch behalten, nutzen ihn aber kaum noch. Viel billiger wäre es eigentlich bei Bedarf ein Auto zu mieten.
Und: wir sind noch nie liegen geblieben! Alle Strecken bis 50 km Umkreis um München fahren wir auch im tiefsten Winter elektrisch – im Sommer deutlich längere. Das Elektroauto fahren macht deutlich mehr Spaß als der Benziner: Straßenlage, Beschleunigung – kein Gestank. Wir zahlen 100 Euro Wartung im Jahr, der Benziner kam selten unter 600 Euro aus dem Service. Und natürlich kein Benzin mehr – und keine KFZ-Steuer.

Mehr Batterieleistung wäre manchmal ganz nett – aber wirklich gebraucht haben wir sie noch nie. Und wenn doch, dann planen wir das Laden einfach ein: es ist ein Mausklick auf der App. Ein paar zusätzliche längere Strecken gehen dann auch noch ohne nachladen elektrisch. Aber dazu noch mehr Batteriegewicht herumfahren? Das Geld für die Umrüstung (ca. 3000 Euro) spare ich mir.
Wir haben uns einfach umgestellt und fragen bei weiteren Strecken: wie fahren wir? Distanzen ab 150 Km fahre ich meist mit der Bahn. Und es gibt in München überall DriveNow, Car2Go und einen
Mietwagen bekommt man an jeder Ecke innerhalb von 20 Minuten (bei Renault übrigens als Elektrofahrer fast umsonst).

Im Rückblick ist es ein wenig wie die Umstellung vom Handy auf das Smartphone: Als plötzlich nicht mehr eine ganze Woche Akkulaufzeit mehr da war hat man das Handy halt jeden Abend angesteckt – fertig. Der Zusatznutzen lässt die Laufzeit schnell vergessen. So war das auch beim Elektroauto.

Mir stellt sich die Frage:
Wie viele Autofahrer fahren deutlich über 100 km am Tag und brauchen wirklich eine hohe Reichweite über 200 km am Stück? Und wie viele
davon haben eine eigene (Tief-)Garage oder Carport und könnten notfalls jeden Abend das Auto anstecken? Wenn das nur 20% der Autofahrer wären – alle die könnten deutlich einfacher und günstiger mobil sein als mit einem Benziner!

Aus diesen persönlichen Erfahrungen heraus: Was braucht es wirklich, um Elektromobilität zu fördern? Brauchen wir wirklich Batteriepanzer mit über 100kWh und 400 PS Leistung?

1. Wir müssen aufhören riesige Reichweiten für Elektrofahrzeuge herbeizureden. Das zwingt die Autohersteller schwere Batteriepanzer zu produzieren. Die Vielfahrer brauchen andere Lösungen – langfristig wird kein Weg an einer Wasserstoffbrennstoffzelle vorbeiführen.
Reine Batteriefahrzeuge sind etwas für den regionalen Verkehr – und da sind sie unschlagbar!

2. Ladezugang zu Hause: öffentliche Ladesäulen sind wichtig und nett. So wie ich am Flughafen mein Smartphone auflade. Aber noch wichtiger ist einfacher Ladezugang zu Hause. Ein Elektroauto lädt man wie ein Handy: meist zu Shakes über Nacht. Und hier gibt es unzählige administrative Barrieren, die beseitigt gehören. So ist es ist fast unmöglich in einer gemieteten Tiefgarage eine Ladestation anbringen zu lassen. Noch viel schwieriger ist es das in einer Eigentümerversammlung durchzuboxen. Genau da muss der Gesetzgeber ran!

3. Elektromobilität funktioniert am Besten im Verbund: mit einem Mietwagen für Langstrecken- oder öffentlichem Nah- und Fernverkehr. Warum
nicht hier eine BahnCard 50 oder ein Nahverkehrs-Ganzjahresticket oder einen Mietwagengutschein mitgeben, wenn jemand ein Elektroauto anmeldet?

4. Eine Solaranlage mit (kleinem!) Batteriespeicher ist eine fast ideale Lösung für unzählige Privathaushalte – in Verbindung mit Community Sharing Modellen. Warum wird das nicht gefördert – eben im Verbund mit E-Fahrzeugen. Zum Beispiel steuerlich? Man würde viel Fliegen mit einer Klappe schlagen!

5. E-Autos als Netz-Puffer: Wenn ganze Stadtteile abends ihre E-Autos anstecken wird die Netzkapazität möglicherweise eng. Das muss man proaktiv in den Griff kriegen. Aufrüsten der Netze, intelligente Verteilungsalgorithmen – hier braucht es gesetzliche Normen! Man kann hier
technische Standards schaffen, die wirklich Grundlagen für die Exportwirtschaft und Marktführerschaft sorgen könnten! In China gibt es Städte die die ladenden E-Autos als Batteriepuffer nutzen, um Netze zu puffern. Warum bitte geht das nicht bei uns?

Elektromobilität funktioniert schon jetzt!

Sie ist günstig und ökologisch sinnvoll bei mittleren Reichweiten, macht Spaß und könnte einen Großteil der Verbrenner-Fahrten sofort ersetzen. In Kombination mit Solaranlage und einem kleinen Batteriepuffer plus Community Sharing ist es eine perfekte Lösung für viele Hausbesitzer.

Die Politik muss dazu nur die richtigen Weichen stellen, die Medien die richtigen Fragen.